Es hat etwas vom Anfang eines Wintermärchens, wenn man sich die Szenerie vorstellt. Es ist mitten in einer eiskalten Nacht im Januar, die Temperatur bei minus 12 Grad. Und dennoch machen sich mehr als 20 Personen in dicker Winterkleidung und mit Stirnlampen bewaffnet auf den Weg in den Weinberg. Es sind Lesehelfer:innen der Bergsträßer Winzer eG an der Hessischen Bergstraße, Deutschlands kleinstem Weinanbaugebiet. Und sie wollen gefrorene Souvignier Gris Trauben für einen Eiswein ernten.
Einen Eiswein herzustellen ist eine Kunst für sich und kostbare Rarität in Deutschland. Zunächst braucht es gesunde, nicht von Edelfäule befallene Trauben, die im Herbst nicht gelesen wurden, sondern den gesamten Winter am Stock geblieben sind. Und es bedarf anhaltender Minusgrade. Denn dann gefriert das im Fruchtfleisch der Trauben enthaltene Wasser bis auf eine geringe Restflüssigkeit mit den Aromen und der Fruchtsäure. Und genau auf diese Essenz aus dichtester Konzentration der Inhaltsstoffe der Beeren und vergleichsweise hohem Säuregrad haben es die Winzer abgesehen. Genau darin liegt auch der Unterschied zu anderen edelsüßen Weinen wie Auslesen, Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen.
Die Bedingungen sind in dieser Frostnacht optimal, denn für die Eisweinlese muss es mindestens -7 °C sein, und die Trauben sollten möglichst mehrere Tage gefroren sein. Für den Winzer geht es um alles oder nichts, denn wer mit der Natur pokert, geht das Risiko des Totalverlusts der Ernte ein. Und daher muss es schnell gehen in der der Kälte und Dunkelheit der Nacht. Denn die in den gefrorenen Trauben konzentrierte Restflüssigkeit muss gepresst werden, bevor die Trauben antauen und die Essenz verwässert wird. Beim Pressen bleibt das Eis in den Beeren, nur der austretende Saft wird vergoren. Die Mengenausbeute ist entsprechend gering.
Die Lese war in dieser Nacht erfolgreich. 25 Kisten handgelesener Eisweintrauben konnten gefüllt werden. Und auch wenn daraus nur ca. 100 Liter Eiswein gekeltert werden: das Märchen vom raren Eiswein ist wahr geworden und wird in ungefähr 250 Flaschen à 0,33-Litern abgefüllt. Und das ist noch nicht die ganze Besonderheit an dieser Lese.
Eiswein aus Souvignier Gris und Cabernet Blanc
Die Bergsträsser Winzer eG wurde 1904 gegründet. Heute bewirtschaften 335 Winzerfamilien rund 236 Hektar Rebfläche entlang der Bergstraße mit einem umfangreichen Rebensortiment. Und dazu gehören seit Jahren auch verschiedene Piwis, pilzwiderstandsfähige, robuste Rebsorten. Mit diesen wollen die Winzer auf heiße und regenarme Sommer vorbereitet sein und vor allem weniger Pflanzenschutzmittel im Weinberg einsetzen müssen. Dies bedeutet eine bessere CO2-Bilanz, die Umwelt wird geschützt und die Natur geschont.
Und so ernten die Bergsträsser Winzer seit Jahren verschiedene Piwi-Rebsorten, z.B. den Souvignier Gris. Und genau daraus ist ihnen auch dieses Jahr wieder ein Eiswein gelungen. Souvignier Gris ist eine pilzwiderstandsfähige Weissweinsorte und wurde 1983 am Staatlichen Weinbauinsitut Freiburg aus einer Kreuzung aus Seyval Blanc und Zähringer gezüchtet. Er erinnert an einen weissen Burgunder oder einen duftigen Grauburgunder. Die Säure ist frisch wie bei einem Riesling und macht die Weine leicht und luftig.
Und auch die Piwi-Rebsorte Cabernet Blanc hat sich für die Eisweinherstellung bewährt. Einen daraus erzeugten Eiswein hat die Winzergenossenschaft Meißen, mit 1.100 Winzern Sachsens größter Weinerzeuger, im Sortiment. In den letzten Jahren hat es allerdings nicht mit dem Eiswein geklappt, da die frostigen Temperaturen fehlten. Umso größer die Freude über die Lese bei zweistelligen Minusgraden, bei der auch die amtierenden Weinhoheiten mit zupackten. Bei so einem seltenen Ereignis dabei sein zu können, freute die amtierende sächsische Weinkönigin Alona Chesnok besonders, auch wenn man aufpassen musste, dass die Finger nicht einfrieren. Gearbeitet wurde bis in die frühen Morgenstunden, da zuerst Netze von den Rebstöcken abgenommen werden mussten. Mit den Netzen werden die Trauben vor Vögeln und hungrigen Waschbären geschützt.
Geerntet wurden auf dem rund 3000 Quadratmeter grossen Weinberg Trauben der Sorte Cabernet Blanc. Cabernet Blanc ist eine Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Regent aus dem Jahr 1991. Der Wein erinnert schon im Duft an Sauvignon Blanc mit würziger, vegetabiler Aromatik, bei Vollreife auch mit Aromen von Maracuja und Litschi.
Zurück an der Bergstraße: Der Eiswein der Bergsträsser Winzer aus Souvignier Gris hat bereits hohe Auszeichnungen bekommen, was wiederum zeigt: Es ist kein Märchen mehr, Qualität, Geschmack und Umweltbewusstsein miteinander zu verbinden!
