Design meets Wine – Trinkbare Kunstwerke, die HEM-Manufaktur und das Rebschwarz

Ein Künstler ist ein Künstler - wird ein Winzer. Philipp Haas stellt einzigartige Kunstwerke aus seinen Moselweinbergen her. Die Rebe bringt dabei nicht nur den flüssigen Inhalt hervor. Sie ist Motiv und liefert auch ihren eigenen Bedruckstoff.
6 Apr, 2024
Kunstwerke der HEM-Limited Edition No. 1, Rebdruck-Unikate als Etiketten

Wenn man wissen will, was Kreativität ist, wie also noch nicht gedachte Ideen entstehen und sich dann in all ihrem Facettenreichtum verästeln, zusammenfügen und etwas Neues hervorbringen, der muss sich die Kunstwerke um das HEM-Projekt von Philipp Haas anschauen. Die Entstehung der Kunstwerke ist dabei vor allem auch die Geschichte von Zufall und Fügung. Es ist die Geschichte von einem traditionsreichen Weinberg, der von einem Berliner Szenefotografen gerettet und zu einem modernen Kunstwerk entwickelt wird. Und es erzählt die vielen künstlerischen Etappen, die am Ende zur HEM-Manufaktur führen.

Philipp Haas ist wohl genau das, was man sich unter einem kreativen Künstler vorstellt. Er will, dass es spannend bleibt im Leben und ist immer aufmerksam für „dieses Kribbeln im Bauch“, wie er es nennt. Es ist die Inspiration, die ihn dann antreibt, eine Idee spontan zu verfolgen, ohne Bedingung und ohne sich an Gewohnheiten zu orientieren. 

Philipp ist Designer und Fotograf, geboren an der Mosel, einem für seinen Riesling aus Steillagen bekannten Weinanbaugebiet. Er lebt seit Jahren in Berlin, arbeitet dort und auf internationalen Projekten. Seiner Heimat ist er aber immer verbunden geblieben und stellt seine Werke auch regelmäßig an der Mosel aus. Bei einer solchen Fotoausstellung seines „re-inked“ Projekts im Schloss Lieser – einem wunderbaren Prachtbau im Stil eines englischen Landhauses – überkommt ihn der Wunsch, einen eigenen Wein im Rahmen seiner Ausstellungen und Vernissagen anbieten und so auch überall auf der Welt immer ein Stück seiner Heimat präsentieren zu können. 

Schloss Lieser an der Mosel - Rebdruck Großformat
Schloss Lieser an der Mosel – Rebdruck Großformat

Welche Rolle spielt der Zufall im Leben?

Der Keim für diese Idee war womöglich schon ein halbes Jahr zuvor gesät. Philipp traf zufällig beim Spazierengehen einen älteren Winzer aus seinem Dorf. Dieser erzählte Philipp, er könne seinen Weinberg bald nicht mehr bewirtschaften. Es sei nicht irgendein Weinberg, sondern eine Parzelle mit über 40 Jahre alten Riesling Rebstöcken in der bekannten Lage Mühlheimer Sonnenlay. Die Vorstellung, dass dieser Teil seiner Heimat mangels Bewirtschaftung „aus-gemacht“ wird, wie es immer öfter geschieht in der Kulturlandschaft Mosel, gefällt Philipp nicht.

Wenn man die Begegnung mit dem Winzer noch als „göttliche“ Fügung oder Schicksal sehen mag, war es jedenfalls Philipp Haas der diesen Zufall positiv herausforderte. Er meldete spontan und ohne weitere Gedanken an Sinnhaftigkeit oder Machbarkeit – sein Lebensmittelpunkt war ja Berlin – Interesse an dem Weinberg an. Und so kam es. Philipp übernahm noch vor Ende seiner Ausstellung im Schloss Lieser den Weinberg an der Mosel.

Fachmännische Unterstützung aus der dörflichen Gemeinschaft war – zufällig – auch schnell gefunden: Das ortsansässige Weingut Karp-Schreiber mit Kellermeister Jobst Karp stand Philipp vom Tag eins an bei der Bewirtschaftung des Weinbergs zur Seite. 

Was für Philipp als Künstler bei Übernahme des Weinbergs auch sofort klar war: Er würde seine eigenen Etiketten entwickeln. Es wäre aber nicht Philipp Haas, wenn es einfach nur irgendwelche Etiketten werden sollten. Und so fügte sich das nächste Teilstück in den kreativen Prozess. Aus seinen eigenen Moselreben wollte er einen eigenen Farbstoff entwickeln, mit dem dann seine Rieslingreben abgedruckt werden sollten: Die nächste Etappe bei dem Marathon zur HEM-Manufaktur.

Rebschwarz – wie entsteht ein Naturfarbstoff?

Kreativität ist die Fähigkeit, etwas Neues erschaffen zu können. Im Idealfall entwickelt sich für den Künstler ein „flow“, der die bis dahin fremden Dinge zu einem neuen Ganzen zusammenfügt. 

Einige Jahre zuvor war Philipp als Fotograf für ein Farbseminar der ETH Zürich im „Haus der Farbe“ gebucht. Eine der Vorlesungen, die er fotografisch begleitete, behandelte die Entwicklung von Naturfarbpigmenten. Es ging um die Frage, wie aus Reben ein schwarzer Naturton werden kann, das sog. Rebschwarz. 

Rebschwarz ist ein besonderer Schwarzton. Er enthält nämlich eine Blaustich. Für die Herstellung werden Reben geschnitten und mittels Pyrolyse zu einem Kohlenstoff gebrannt. Pyrolyse ist ein Prozess, bei dem organische Verbindungen bei hohen Temperaturen unter Sauerstoffausschluss zersetzt werden. Die so verkohlten Reben werden anschließend je nach gewünschter Körnung gemahlen und zu Farbe verarbeitet. 

Reben nach der Pyrolyse
Reben nach der Pyrolyse

Zufall versus Planung

Es gibt Dinge, die geschehen einfach in einem schöpferischen Prozess und sind weder planbar, noch aufzuhalten. Philipp wandte sich mit seinem Wunsch, seinen eigenen Farbstoff herzustellen an David Keist, den damaligen Dozenten beim Farbseminar im Haus der Farbe. Und der Zufall wollte es, dass David gerade ein altes Bauernhaus revitalisierte und dazu Rebschwarz als Feuchtigkeitsbinder für den Putz herstellen wollte. Mit geschnittenen Moselreben beladen fuhr Philipp also kurzerhand in die Schweiz, und gemeinsam experimentierten sie mit verschiedenen Pyrolysetechniken. Nach langwierigen und vielen gescheiterten Versuchen wurden sie am Ende belohnt: Mit einem Rebschwarz aus Schweizer Reben und einem aus Moselreben. 

Aus Reben wird durch Pyrolyse das Rebschwarz-Pigment.
Aus Reben wird durch Pyrolyse das Rebschwarz-Pigment.

Kreativ sein bedeutet auch durchzuhalten

Die meisten kreativen Ideen scheitern kurz vor der Zielgeraden. Es sind die Zweifel an der eigenen Idee, die sich ausbreiten und sie auszubremsen versuchen, Rückschläge, die es vielleicht auch schon auf dem bisherigen Weg zur Umsetzung gab, werden plötzlich stärker wahrgenommen und Aufgeben wäre so viel einfacher, als durchzuhalten. Den Enthusiasmus nicht zu verlieren und durchzuhalten galt es auch bei Philipps nächster Etappe: Den ersten Druckversuchen.

Das Rebschwarz hielt nicht an den Reben und nicht am Papier. Hielt es endlich dank unzähliger Versuche mit unterschiedlichen Bindemitteln, wurde das Papier schnell feucht und wellig. Es sind genau diese Phasen, in denen künstlerische Ideen oft steckenbleiben und nie zu Ende gebracht werden. Bei Philipp war dies jedoch der Anfang eines neuen künstlerischen Details.

Was macht man, wenn man nicht das richtige Papier hat? Man stellt es selbst her. Mit Hilfe des Buchbinders Martinus Jannsen aus Prüm (Kulturprojekt Deutsches Buchbindermuseum e.V.) schöpfte Philipp „einfach“ eine eigene Papierkreation, ausgelegt auf die Anforderungen des Rebschwarz und für den Untergrund der Kunstwerke, die Weinflasche. Und endlich konnten die ersten Reben auf eigenem Büttenpapier mittels speziellem Druckverfahren gedruckt werden!

Ein Kunstwerk wird zum Etikett – jedes Detail erzählt eine Geschichte

Der Begriff „Etikett“ kommt aus dem altfranzösischen „estiquier“ und bedeutet befestigen oder aufhängen. Gemeint ist ein Schildchen an der Verpackung eines Produkts. So sehr diese Definition bei den Rebdrucken zu passen scheint – sie sind eben doch viel mehr. 

Der Abdruck der eingefärbten Rebe auf dem Vorderetikett sieht aus wie eine Zeichnung oder ein fotografischer Ausschnitts eines Weinbergs nach der Ernte, wenn die Rebe sich auf den neuen Wachstumszyklus vorbereitet. Durch das HEM-eigene Rebschwarz-Pigment ist ein facettenreiches Kunstwerk aus dem Weinberg entstanden: Auf der Flasche und in der Flasche. Die Rebe ist dabei das Symbol für die Vielschichtigkeit des Projekts und stellt gleichzeitig die unterschiedlichen Produkte dar.

Vor dem Abdruck: Reben werden mit Rebschwarz eingepinselt
Vor dem Abdruck: Reben werden mit Rebschwarz eingepinselt

Und auch die Rückenetiketten sind mit dem HEM-eigenen Rebschwarz gedruckt. Dieser Druck mit erhabener Schrift war nur mit einem speziellen Siebdruckverfahren bei einem Spezialisten für Druck und Veredelung möglich, ebenso die stilisierte Rebe im Reliefdruck mit Goldfolienprägung.

Jedes der Kunstwerke ist ein Unikat und erhält sein eigenes Zertifikat. Diese sind händig gestempelt, nummeriert und von Philipp mittels eines aus einer Rebe gefertigten Schreibgeräts mit Schellacktinte signiert. Die erste Ausgabe der HEM-Edition ist auf 333 Stück (Weinflaschen à 0,75l) limitiert.

HEM-Limited Edtion No. 1, Vorder- und Rücketikett, Rebe als Schreibgerät und weitere Details
HEM-Limited Edtion No. 1, Vorder- und Rücketikett, Rebe als Schreibgerät und weitere Details

Man schätzt, dass es den Weinbau an der Mosel seit 2000 Jahren gibt. Mit Hilfe des modernsten Druckverfahrens wird nun die Tradition des Weinbaus auf den Weinflaschen abgebildet. Die Kunstwerke sind mithin auch ein Ergebnis von Tradition und Moderne.

Natur als Inspiration und Innovation

Von der Begegnung mit dem Winzer und der Vision auf Schloss Lieser, einen eigenen Wein anbieten zu können, bis zum ersten eigenen Riesling Alte Reben als Limited Edition No. 1 hat es gut zwei Jahre gedauert und war nur durch die viele Unterstützung von Freunden, der Familie und Experten möglich. Zwei Jahre, in denen Philipp Haas kaum noch in Berlin war, sondern sein Projekt an der Mosel weiterverfolgt hat. Der Zufall spielt in unserem Leben oftmals eine größere Rolle, als wir annehmen. Wichtige Ereignisse in unserem Leben dem Zufall zuzuschreiben, kann sich zwar schnell nach Kontrollverlust anfühlen. Im kreativen Prozess sind es aber genau diesen neuen Wege, denen sich Künstler (bewusst oder unbewusst) stellen, um etwas noch nie Gedachtes hervorzubringen. Bei Philipp Haas ist ein künstlerisches Gesamtkonzept entstanden: HEM-Manufaktur.

Handgefertigter Druck von Moselreben im Großformat.
Handgefertigter Druck von Moselreben im Großformat.

Die HEM-Manufaktur von Philipp Haas

HEM hat zwei Bedeutungen: Es bedeute zum einen „Heimat“ auf Moselfränkisch, die Heimat, die er in seinen Kunstwerken abbildet und die er erhalten will. Zum anderen sind es die Initialen von Philipps Großmutter, Hella Emma Minna, die den Weinbau in die Familie gebracht hat. Sie ist inzwischen 88 Jahre alt und die schnellste im Weinberg.

Großmutter und Namensgeberin Hella Emma Minna
Großmutter und Namensgeberin Hella Emma Minna

Design meets Wine: Die HEM-Manufaktur wurde gemeinsam mit dem Projektpartner Weingut Karp-Schreiber mit dem Designpreis Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Eines dieser trinkbaren Kunstwerke ist in die Sammlung „Kulturerbe Rheinland-Pfalz“ aufgenommen!

Verleihung Design Preis Rheinland-Pfalz, Philipp Haas & Weingut Karb-Schreiber
Verleihung Design Preis Rheinland-Pfalz, Philipp Haas & Weingut Karp-Schreiber

Inzwischen hat Philipp vier Weinberge. Zum Teil lagen diese jahrelang brach und wurde revitalisiert. Er versteht sein Schaffen daher auch als Weinberg-Rettung und wird auch weiterhin von vielen Helfern unterstützt. Um der Natur in der Kulturlandschaft Mosel etwas für die bewirtschafteten Weinbergsflächen zurückzugeben, stellt er den Weinbau nicht nur auf Bio um, sondern hat Wiesen als Ausgleichsflächen gekauft, die als naturbelassene, ökologische Biotope wild wachsen – kreativ eben. Seit neustem pflanzt er auch Souvignier Gris an, eine der nachhaltigen Trendrebsorten aus dem Piwi-Segment.

Zufall oder doch Bestimmung?

Bei Statuen heißt es, sie waren schon immer da, der Künstler hat sie nur aus dem Stein befreit. Bei der HEM-Manufaktur muss es ähnlich lauten: Das Gesamtkunstwerk Moselweinberg in der Flasche und auf der Flasche war in allen Facetten bereits im Kopf des Künstlers. Philipp Haas hat es mit einer kraftvollen Vision, Leidenschaft und viel Mühe für uns in die Welt gebracht. Und vielleicht war es auch weder Zufall, noch Fügung, sondern Bestimmung: „Back to the roots“. In Philipps Fall müsste es heißen, zurück zu 40 Jahre alten Wurzeln von Riesling-Reben in seiner Heimat an der Mosel.

Von Philipps Weinberg aus schaut man auf das Schloss Lieser. Zufall oder nicht – das Projekt ist in jedem der unzähligen Details eine absolut runde Sache.

Wir vom Art & Wine Magazine freuen uns über das Projekt und sind sehr gespannt auf die Kunstflaschen der Limited Edition No. 2!

Künstlerische Konzepte mit Wein - das HEM-Zertifikat von Philipp Haas.
Künstlerische Konzepte mit Wein – das HEM-Zertifikat.

AUTOR:IN


Marius Greb
Claudia Rützel
Juristin, seit Ende 2023 ebenfalls auch Autorin beim ART & WINE Magazine. Als Assistant Sommelière befasst sich Claudia Rützel seit Jahren theoretisch und praktisch mit Allem rund um das Thema Wein. Sie möchten mit Claudia in Kontakt treten? Schreiben Sie eine E-Mail claudia@art-wine-mag.com

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