Das Städel Museum – Zur Neupräsentation der Gegenwartskunst

"Heute ist Malerei so viel mehr als Öl auf Leinwand.", erklärt der Sammlungsleiter der Gegenwartskunst des Städels Martin Engler im Interview mit dem Art & Wine Magazine.
29 Jan, 2021
Copyright: Städel Museum, Außenfassade Foto: Städel Museum

Zurück in die Gegenwart

ZURÜCK IN DIE GEGENWART. NEUE PERSPEKTIVEN, NEUE WERKE – DIE SAMMLUNG VON 1945 BIS HEUTE, so der Titel der neuen Sammlungspräsentation in den Gartenhallen des Städel Museums in Frankfurt am Main. Auch mit der Unterstützung von Förderern oder durch Kooperationen, wie beispielsweise mit der DZ Bank, wird die Sammlung des Städel Museums kontinuierlich erweitert. Für die zahlreichen neuen Werke der Sammlung der Gegenwartskunst wurde nun eine Neupräsentation umgesetzt, die seit Mai 2020 zu besichtigen ist. Besucher*innen haben hier eine Möglichkeit die Sammlung der Gegenwartskunst aus einem neuem Blickwinkel zu betrachten.

Sammlungsbereich Kunst der Moderne
Ausstellungsansicht
Foto: Städel Museum

Neue Gartenhallen

Die neuen Gartenhallen seien schon immer ein Ort gewesen, der Besucher*innen magisch anziehe, so der Sammlungsleiter der Gegenwartskunst Martin Engler. Unter der acht Meter hohe lichtdurchfluteten Wölbung stehen Kunstwerke junger und jüngerer Zeit im Zentrum. Ausgehend davon erstreckt sich die Ausstellung mit Werken der Gegenwart bis Mitte des 20. Jahrhunderts. „Wir fanden es nur konsequent, von hier aus unsere unterschiedlichen Erzählungen zu denken. Die Besucherinnen und Besucher gehen vom Zentrum in die Peripherie, von der Jetztzeit in weiter zurückreichende Jahrzehnte unserer Gegenwart.“, kommentierte Martin Engler. Die Verbindung der Kunst nach 1945 mit der Moderne, sowie zeitgenössischer Kunst wird aufgezeigt, wobei die Vielschichtigkeit von Kunst entgegen einer linearen Aufschlüsselung vermittelt wird.

Martin Engler
Sammlungsleiter Gegenwartskunst
Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Räume der Fragen

Ausgehend davon erschließt sich der Aufbau über Blickachsen und Parallelitäten zwischen einzelnen Werken verschiedener Zeiten. Es liegt keine Chronologie vor an der sich Besucher*innen zunächst orientieren könnten. Das schafft Raum für Fragen und stößt Denkprozesse an. Nur die Titel der einzelnen Räume geben den Besucher*innen Anhaltspunkte.

Durch die Gleichzeitigkeit der Anordnung der Werke von 1945 bis Heute wird die Gegenwartskunst offen abgebildet. Die unterschiedlichen Gegenwarten der Zeit werden in mehr als einem Erzählstrang verdeutlicht, wobei sie zueinander laufen und wieder auseinander driften können. Durch die Entscheidung, die Neupräsentation nicht naheliegend chronologisch, sondern thematisch aufzubauen, werde „ein ganzheitlicher Blick auf die Geschichte der Kunst der letzten Jahrzehnte“ geboten, so Martin Engler.

Sammlungsbereich Gegenwartskunst
Ausstellungsansicht
Foto: Städel Museum

Schnell wird klar: Die Ausstellung dreht sich um mehr als die Wahrnehmung von Malerei. Es gelingen interessante Beziehungen, die den Besucher*innen eine fabelhafte Möglichkeit bieten sich mit der Nachkriegskunst in ihrer Ganzheitlichkeit zu befassen. Werke, die auf den ersten Blick vielleicht keine klare Verbindung zueinander aufweisen, treten in Dialog, wodurch zahlreiche Möglichkeiten der Rezeption eröffnet werden. So werden Beispielsweise Verknüpfungen zwischen Daniel Richters abstrakt-figurativer Malerei und Francis Bacons Studie für die Kinderschwester in dem Film „Panzerkreuzer Potemkin“ von 1957 hergestellt. Tafelbilder, Installationen, Fotografie und Malerei werden in der Neupräsentation in neuen Kontexten präsentiert.

Sammlungsbereich Gegenwartskunst
Ausstellungsansicht
Foto: Städel Museum

Malerei abseits der Leinwand

Nach 1945 verlässt die Malerei immer mehr die Leinwand und entwickelt sich in den Raum. Die Sammlung zeige „möglichst viele künstlerische Medien im Zusammenspiel, das sich in einem erweiterten Kreis um den Malereibegriff bewegt“, erklärt Martin Engler: „Heute ist Malerei so viel mehr als Öl auf Leinwand.“

In den Gartenhallen des Museums kann das Verschwimmen klassischer Gattungsgrenzen nachvollzogen werden. Der Illusionismus spielt eine immer geringere Rolle, der Bruch mit ebendiesem jedoch eine immer wichtigere. Bei Künstler*innen, wie Isa Genzken oder Jessica Stockholder erobert die Malerei zunehmend den Raum. Sie löst sich von der flächigen Leinwand. Durch Zerstörung oder durch Integration realer Objekte, scheint die Malerei bis in den Alltag vorzudringen.

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Quelle: youtube/staedelmuseum

Grenzverschiebungen

In der Gegenwartskunst nähert sich die ursprünglich hauptsächlich dokumentarisch genutzte Fotografie der Malerei allmählich an. In der Ausstellung werden Werke von Gerhard Richter, Amelie von Wulffen oder Angela Grauerholz gezeigt, an denen wunderbar nachvollzogen werden kann, wie sich Malerei und Fotografie gegenseitig befragen, beeinflussen und inspirieren, wobei sich Grenzen verschieben und auflösen.

Sammlungsbereich Gegenwartskunst
Ausstellungsansicht
Foto: Städel Museum

Abstrakt. Reduziert. Formlos.

Das Ausnutzen neuer Techniken zur Gestaltung von Bildern ist bezeichnend für die Gegenwartskunst ab 1945, die sich neu erfinden und von vorheriger Kunstart lossagen wollte. Es entwickelte sich das Informel. Die Neupräsentation der Gegenwartskunst verdeutlicht die Entwicklung der vermehrten Lösung des Gegenstandes von Farbe und Form hin zu einer formlosen und umfassend reduzierten Malerei. Werke von Josef Albers und dessen Darstellungen verschieden großer Quadraten, bei denen es keineswegs mehr um den Bildgegenstand an sich, sondern um Veränderungsprozesse geht, sind in diesem Zusammenhang in der Ausstellung kontextualisiert. Gleichzeitig gewinnt das Informel jedoch auch abseits der Leinwand durch die Integration von Objekten und Fotografie.

Sammlungsbereich Gegenwartskunst
Ausstellungsansicht
Foto: Städel Museum

Eine Sammlung für die Zukunft

„Das Städel Museum sammelt seit seiner Gründung vor mehr als 200 Jahren immer auch die Kunst seiner Zeit. Für den Sammlungsbereich Gegenwartskunst bedeutet das, Tendenzen, Phänomene der zeitgenössischen Kunst – jenseits von Moden und Trends – in den Bestand des Museums aufzunehmen. Eine Herausforderung ist, dass wir für die Zukunft sammeln, also Kunst, von der wir annehmen, dass sie auch in 10, 50 oder 100 Jahren stellvertretend für unsere heutige Gegenwart stehen kann.“, so Martin Engler über die Herausforderungen, die mit einer Sammlung gegenwärtiger, zeitgenössischer Kunst einhergehen.

Kostenfreie Audioguide-App im Städel Museum
Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Über den Museumsrand hinaus

Im Zuge des Interviews mit dem Sammlungsleiter Martin Engler fiel die Frage, weshalb Aufklärungsarbeit besonders bei zeitgenössischer Kunst gefragt sei, er antwortete: „Weil sie sich immer wieder neu erfindet, Spiegel unserer Gegenwart ist und wir über sie im besten Falle besser oder anders verstehen, wie sich unsere Welt permanent verändert. Aus diesem Grund haben wir auch anlässlich der Neupräsentation einen innovativen Kunst- und Vermittlungsbereich entwickelt: CLOSE UP bietet den Besucherinnen und Besuchern mit einer konzentrierten Werkauswahl Zugänge und Vertiefungsmöglichkeiten zu Themen der Gegenwartskunst.“

Durch die Pandemie sind viele Museen, wie das Städel Museum Frankfurt am Main, im Moment geschlossen. Aus diesem Grund können solche innovativen Vermittlungsangebote innerhalb des Museum aktuell nicht wahrgenommen werden.

Das Museum bietet seinen Besucher*innen aber auch außerhalb des Museums die Möglichkeit sich mit Kunst auseinanderzusetzen. Dabei arbeitet das Städel Museum mit einer großen Auswahl digitaler Angebote. Podcasts, Apps, die Digitale Sammlung, Videos auf dem eigenen YouTube-Kanal oder die aktive Präsenz auf der Social-Media Plattform Instagram. Durch die professionelle Arbeit mit verschiedenen Medien, verschiedenen Kanälen, die individuell von den Besucher*innen genutzt werden können, wird auch eine junge Zielgruppe angesprochen. Es gelingt Kunst in vielfältiger Weise aufzuschlüsseln.

Digitale Sammlung des Städel Museums
Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

AUTOR:IN


Marius Greb
Franziska Boguslaw
Franziska Boguslaw - Kunsthistorikerin

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