Seit einiger Zeit frage ich mich: Was macht eigentlich die Faszination von Wein aus? Er berauscht – auf einfache, schnell und absehbare Art und Weise und – in der Regel – auch ohne zu kriminalisieren. Aber das wäre doch viel zu kurz gesprungen. Wein ist einfach toll! Das Prozedere, eine richtig gekühlte Flasche zu öffnen und in ein schönes Glas zu gießen, macht immer wieder aufs neue Spaß. Das Glas beschlägt und die Farbe des Weins kommt erstmals richtig in die Welt. Und dabei wird auch die viele Arbeit des Winzers im Weinberg und Keller gegenwärtig, man schmeckt das Terroir und wird auch irgendwie ein Teil davon. Herrlich!
Aber: Das ist noch nicht alles. Wein ist unerschöpflich, an Rebsorten, an Anbaugebieten und Bodenfaktoren. Und an Spezialitäten. Da wiederum gibt es total verrückte Sachen, die, wenn man deren Ursprung und Grund versteht, eigentlich aus dem Licht des Unglaublichen in den Bereich des einzig vernünftig und Nachvollziehbaren rücken.
Assyrtiko – Die Königin unter den griechischen weißen Rebsorten
Ein solches verrücktes „Wein-Ding“ ist die Kultivierung der Assyrtikotraube in einer Korbrebe. Assyrtiko ist eine autochthone weiße Rebsorte, die ihren Ursprung in Griechenland hat. Man findet sie hauptsächlich auf den ägäischen Inseln, besonders auf Santorini, eine Insel der Kykladen. Die Inseln der Kykladen bestehen meist aus Gneis, Glimmerschiefer oder auch aus Granit. Auf Santorini überwiegt vulkanisches Gestein. Der Anteil der Rebsorte Assyrtiko macht dort 70 % aus. Die Weißweine enthalten eine knackige Säure und diese spezielle mineralische Note vom Vulkangestein. Der Alkoholgehalt ist mitunter recht hoch und die Weine zeichnen sich durch eine gute Lagerfähigkeit aus.
Assyrtiko ist eine der wenigen Trauben, die sehr gut bei sehr heißen und trockenen klimatischen Bedingungen gedeiht und sie weist eine große Resistenz gegen den echten und falschen Mehltau auf, ist also quasi so etwas wie ein Piwi. Der frische und fruchtige Geschmack nach Zitrus, Limetten und Grapefruit, aber auch nach Apfel und Blüten passen hervorragend zu gegrilltem Fisch und Meeresfrüchten. Der hohe Säureanteil balanciert den Alkoholgehalt wunderbar aus. Von der Assyrtiko-Traube sind Barrique-Versionen zu finden, aber auch frische junge Weißweine und Süßweine zeigen das breite Spektrum dieser vielseitigen Frucht. Wer etwa Riesling gerne mag, dem sei auch diese Traube empfohlen, da sie in Kraft und Finesse Ähnlichkeiten aufweist.
Was macht diese Rebsorte so besonders?
Assyrtiko-Weine findet man inzwischen überall in Griechenland. Die Rebsorte stammt ursprünglich aus der ägäischen Kykladeninsel Santorini und wächst damit auf einem der sonnigsten, heißesten und trockensten Weinberge der Erde.
Zudem sind die Pflanzen erheblichen Winden ausgesetzt, dem Meltemi, der mit zunehmender Sonneneinstrahlung am Nachmittag zulegt (bis ca. 80 km/h). Zum Schutz vor diesen extremen Wetterbedingungen entwickelten die Weinbauern auf Santorini ein geniales Reberziehungssystem: Die Kouloura.
Kouloura – die körbförmige Reberziehung
Kouloura bedeutet auf griechisch „Korb“ oder „Ring“. Die Ruten der Rebstöcke werden dabei nach dem Rebschnitt im Frühjahr zu einen großen Kranz oder Korb verflochten. Was ein wahnsinniger, aber unumgänglicher Aufwand! Der daraus entstehende Korb liegt und wächst auf dem Boden aus Lava, Vulkanasche und Bimsstein.
Die Blätter wachsen außen und schützen die innenliegenden Trauben nicht nur vor der Sonne, sondern vor allem vor dem heftigen Wind und dem aufgewirbelten Sand, der sie schädigen würde. Die Assyrtiko-Traube kann durch die Kouloura geschützt gefahrlos reifen. Außerdem sammelt sich in den Mulden der Körbe das Wasser der extrem wenigen Niederschläge und der nächtlichen Luftfeuchtigkeit. Die Weinbergspflege und Lese am Boden erfolgt per Hand – in gebückter Haltung!
Nach diesem traditionellem System bewirtschaftet Stellios Boutaris, Winzer in fünfter Generation, den überwiegenden Teil der Gesamtfläche von rund 40 Hektar des Weinguts Domaine Sigalas. Mit dem ersten Jahrgang des Santorini Assyrtiko stellte Paris Sigalas 1991 das Boutique-Weingut vor und auch seine zur damaligen Zeit neuartige Idee, das Weingut zwar dynamisch mit moderner Technik weiterzuentwickeln, den traditionellen Weinbau aber fortzusetzen.
Diese Gedanken führt Stellios weiter, indem er auf junge Talente vertraut – etwa die Oenologin Sara Iakovidou – und so ein hochqualifiziertes, inspirierendes Team im Weingut hat. Fachwissen und nachhaltiges, achtsames Wachstum soll so auch weiterhin der Weg der Domaine Sigalas in die Zukunft sein, von der Rebe bis zum Wein. Dass dies erfolgreich ist, zeigt etwa die jüngste Auszeichnung für den Santorini Barrel 2022 Assyrtiko als „Best of the show Greece White“ von Mundus Vini.
Das Durchschnittsalter der Korbreben der Domaine Sigalas liegt zwischen 60 und 70 Jahren. Es gibt aber auch Pflanzen, die über 100 Jahre alt sind. Die Erträge sind mit 3,0 bis 3,5 Tonnen pro Hektar bemerkenswert niedrig. Eine Vermehrung der Assyrtikoreben erfolgt übrigens mit Stecklingen – die Reblaus hat bislang kein Gefallen an den kargen, vulkanischen Böden und dortigen Reben gefunden!
Nychteri von Santorini
Neben frischen und klassischen Assyrtiko-Weinen von Santorini gibt es noch eine opulentere Variation, bei der bei Bedarf die ebenfalls autochthonen Rebsorten Aidani und Athiri beigemischt werden. Nychteri (Nykteri) bedeutet so viel wie “nächtliche Arbeit”. Traditionell wird innerhalb einer Nacht gelesen und gepresst. Die Lese erfolgt Anfang August und natürlich ausschließlich per Hand. Die Reife erfolgt mindestens drei Monaten im Eichenfass, mindestens 13,5% Alkohol sind vorgeschrieben (15% sind aber nicht ungewöhnlich).
Vinsanto von Santorini
Der gewöhnliche Vinsanto ist in der Regel ein Süßwein, wobei auch gespritete Süßweine hergestellt werden. Beim Vinsanto aus Santorini werden die Trauben bereits überreif, zum Teil auch eingetrocknet, gelesen und anschließend 10 bis 14 Tage in der Sonne getrocknet. Nach dem Pressen wird der Most nach kurzer Gärung bereits gespritet (Tsipouro) und reift mindestens zwei Jahre in Eichenfässern.
Die Assyrtiko-Traube hat eine besondere Säurestruktur. Daher unterscheidet sich der Vinsanto aus Santorini vom Vin Santo aus der Toskana. Die Herkunft des Namens bleibt dabei unklar. Aber egal, ob der Name vom italienischen Vorbild übernommen wurde oder eine venezianische Herkunftsbezeichnung “Wein aus Santorini” ist, Folgendes ist unzweifelhaft: Wein wird nie langweilig und nirgends findet der Osterhase so fantastische Früchte im Osternest wie auf Santorini!
In diesem Sinne wünscht das Team des Art & Wine Magazins genussreiche Ostertage!